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Ghetto Lemberg – Auschwitz – Buchenwald: Das Labor des Möglichen

„Werkstätten des Möglichen" lautete das Thema der wissenschaftlichen Tagung, in deren Rahmen die Ausstellung zu Ludwik Fleck erstmals gezeigt wurde. Der Möglichkeitsbegriff spielt darin eine wichtige Rolle. Das Denken der Möglichkeit ist zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Denken der Koexistenz des Heterogenen, der Mensch zeigt sich als Möglichkeitsmensch, die Gesellschaft als „Gesamtlaboratorium" oder „Experimentalgemeinschaft" – so Musil – und es ist deutlich, dass diese Koexistenz des Wirklichen und Möglichen, des immer-auch-anders-können, seine Abgründe hat. Ist doch am Ende des 20. Jahrhunderts klar, dass und in welchem Umfang Vernichtung nicht nur als Möglichkeit existiert, sondern wie übergangslos und radikal sie Wirklichkeit werden kann.

„Werkstatt des Möglichen": Was bedeutet das im Hinblick auf Fleck, auf sein Schicksal und den möglichen Zusammenhang von Wissenschaft und Vernichtung? Inwiefern ist das Konzentrationslager, in dem auch wissenschaftliche Forschung betrieben wird, eine Werkstatt des Möglichen? Wie weit reicht der Begriff des Möglichen? Inwieweit schließt er den Gedanken der Vernichtung mit ein?

Wenn die Ausstellung selbst als Konzept versucht, für ihre Zuschauer, Leser, Beobachter und Benutzer einen Möglichkeitsraum der Lektüre und des Verstehens zu schaffen, in dem unterschiedliche Bezüge hergestellt werden können, so widerspricht sie damit den gängigen Historiographien zum Nationalsozialismus, deren wichtigstes Ziel in der Betonung der Eindeutigkeit historischer Ereignisse liegt. Wir haben uns gefragt, was geschieht, wenn man sich beim Erzählen und Rekonstruieren von Flecks Geschichte im Ghetto von Lwów und in den Konzentrationslagern nicht in einer Art ‚moralischen Gemütlichkeit' einrichtet?

Was wird gewonnen oder geht verloren, wenn man sich von dem Ansatz löst, mit Hilfe der Geschichtsschreibung Schuld und Unschuld im KZ einem klaren Täter-Opfer-Schema zuzuordnen? Was wird gewonnen oder geht verloren durch Erzählweisen, die die Wahrheit umkreisen, ohne dadurch das empirische Korrelat, das historische Ereignis, das KZ in Frage zu stellen? Was geschieht, wenn wir die uneindeutigen, die eklatant widersprüchlichen Geschichten über Flecks Rolle als gefangener Wissenschaftler im KZ nicht hierarchisieren, sondern als unterschiedliche Erzählungen nebeneinander stehen lassen?

Vielleicht eröffnet uns die Betrachtung und Beobachtung dieses ‚narrativen Feldes' das Erkennen von etwas Neuem: andere Mustern, andere Beziehungen, andere Aufmerksamkeiten, die uns sichtbar machen, was von uns als mögliche Gestalt der Wissenschaft an-/erkannt wird, nach dieser Erfahrung im Labor des Möglichen.

Die nachfolgenden Dokumente zeigen Ausschnitte aus der Ausstellung „...was überhaupt möglich ist – Zugänge zum Leben und Denken Ludwik Flecks im Labor der Moderne", die sich auf Flecks Leben und Forschungen in der Zeit von 1941-1945 beziehen. Während nach dem Krieg unterschiedliche Stimmen laut wurden, die Fleck der Kollaboration mit der SS bezichtigten (Alfred Balachowsky), behaupteten andere, Fleck sei einer der führenden Köpfe einer Sabotageaktion gegen die SS gewesen (Eugen Kogon). Fleck selbst nahm erst 1958 dazu Stellung und veröffentlichte seine Erwiderung nicht. Andere Dokumente beziehen sich auf die immer noch unzureichend untersuchte Zeit, im Ghetto von Lwów, als Fleck einen Impfstoff gegen Fleckfiebertyphus entwickelte und diesen als Patent an die SS ‚verkaufte', um dafür im Gegenzug die Infrastruktur einer pharmazeutischen Fabrik nutzen zu dürfen und so den Impfstoff in ausreichenden Mengen für die Ghettobewohner produzieren zu können. Seine Forschungsunterlagen schmuggelte Fleck aus dem Ghetto. Sie wurden von nicht-jüdischen Freunden für Fleck aufbewahrt. Er verwandte sie für Publikationen nach dem Ende des Krieges.



 
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